Alles Edle ist an sich stiller Natur und scheint zu schlafen, bis es durch Widerspruch geweckt und herausgefordert wird.
Goethe, Eckermann, 1.4.1827

Der Autor
Peter Bichsel, geboren am 24.3.1935 als Sohn eines Handwerkers in Luzern, ist in Olten aufgewachsen. Nach der Ausbildung zum Primarlehrer arbeitete er bis 1968 in diesem Beruf. Von 1974 bis 1981 war Bichsel persönlicher Berater des damaligen Bundesrates Willy Ritschard. Zwischen 1972 und 1989 hielt er sich mehrere Male als „Writer in Residence“ und Gastdozent an amerikanischen Universitäten auf. Er lebt in Bellach (Kanton Solothurn).

Preise: Preis der Gruppe 47 (1965) ; Stipendium des Lessingpreises der Freien und Hansestadt Hamburg (1965) ; Förderungspreis Olten (1966) ; Deutscher Jugendbuchpreis (1970) ; Prix Suisse für das Hörspiel „Inhaltsangabe der Langeweile“ (1973) ; Kunstpreis des Kantons Solothurn (1978) ; Literaturpreis des Kantons Bern (1978) ; Werkjahr Pro Helvetia (1983) ; Johann Peter Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg (1986) ; Preis der Schweizerischen Schillerstiftung (1987) ; Stadtschreiber-Literaturpreis Mainz (1996) ; Gottfried Keller-Preis (1999) ; Prix Charles Veillon (2000) ; Stadtschreiber und Writer-in-Residence in verschiedenen Städten Europas und Amerikas; Ehrendoktorwürde der Universität Basel 2004.

Die ‚Kindergeschichten’
‚Ich habe die Geschichte von einem Mann, der Geschichten erzählt.
Ich habe ihm mehrmals gesagt, daß ich seine Geschichte nicht glaube.
„Sie lügen“, habe ich gesagt, „Sie schwindeln, Sie phantasieren, Sie betrügen.“
Das beeindruckte ihn nicht.’ Der Schweizer Autor Peter Bichsel erzählt keine Geschichte, keine autobiographischen Winkelzüge, nicht einmal besonders viel sachliche Realität verunreinigen seine kleinen phantastischen Ausflüge. In Wirklichkeit sind es Parabeln, metaphorische Erzählungen, die auf ihre scheinbar so subtile Art tiefe Weisheit und lehrhafte Veranschaulichung vermitteln.

Die „Kindergeschichten“ sind eine Sammlung der lehrreichsten, sinnfälligsten und ergreifendsten Geschichten aus Bichsels Feder. Eigentlich, so wird man einsehen müssen, sind es aber gar keine Kindergeschichten. Jedenfalls nicht nur. Es sind Vorlesegeschichten, sicherlich. Geschichten, die abends am Bett noch einmal eine Portion Weisheit für den Schlaf offerieren. Aber sie fordern auch Erwachsene immer wieder neu heraus, weil sie unumstößlich auf den Punkt bringen, was den Menschen von der Wiege bis zur Bahre antreibt, was ihn bewegt und erschüttert.

Sie handeln vom trotzigen Wunsch, die Worte wörtlich zu nehmen und die Welt der Tatsachen damit zu provozieren: dass die Erde rund und ein Tisch ein Tisch sei. Seine Texte belehren uns, dass sich in der Banalität des Lebens etwas herstellen lässt, was ihr vielleicht noch Sinn gibt, das Mitteilbare.

Da ist der Mann, der kurzerhand beschließt, die Gegenstände seiner Umwelt neu zu benennen – seine eigene Sprache versteht aber nur er selbst, bald schon vergeht ihm das Lachen und er verkümmert – als Unverstandener unter Menschen, die er selbst nicht mehr zu verstehen mag. Letztlich ist es so, dass man einsehen muss: „Ein Tisch ist ein Tisch“.

„Peter Bichsels Kindergeschichten werden, Auflage für Auflage, und Jahr für Jahr, von Sechs- wie von Siebzigjährigen gelesen , verstanden auf je den verschiedensten Stufen des Verstehens , und sie werden weitererzählt. Sie sind bei aller subtilen Gebrochenheit, bei all ihrem hochartifiziellen Charakter, ein Volksbuch neuen Typs.“
Otto F Walter.

Die Inszenierung
‚Aussenseiter’ und ‚Einsamkeit’: auf diese beiden Themen fokussiert sich die theatrale Auseinandersetzung mit den ‚Kindergeschichten’. Menschen werden alt und manchmal sonderbar, in unserem Kulturkreis werden sie oft aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und vereinsamen. In Bichsels Geschichten wagen es die Figuren, der Unabänderlichkeit des Bestehenden Schwierigkeiten zu machen, dagegen zu sein und etwas Neues, Unerwartetes zu unternehmen. Und: sie stellen Fragen.

Musik Gesang Tanz Projektionen Schattenspiel Schauspiel
Schauspiel als Erzählung, Tanz, Chor , Schattenspiel und Projektion werden ineinander versetzt und erzählen diese Geschichten von den Bichselschen Figuren wie auch von anderen einsamen oder skurrilen Menschen. Aspekte aus den Erzählungen werden extrahiert, durch Tanz, Schattenspiel oder Musik neu gedreht, neu gesehen, vergrössert, verkleinert, herangezoomt oder auch nur bebildert mit assoziativen Momenten.

Wie immer in unseren Produktionen interessiert uns die Integration des ‚Realen’ im Bühnenkontext, die Begegnung mit und das Erkennen von Menschen mit einem besonderen Können oder einer besonderen Eigenschaft. So wie wir mit der Fähigkeit von blinden Menschen, im Dunkel zu ‚sehen’, gearbeitet haben oder mit Flüchtlingen in ihrer starken kulturellen Präsenz, werden wir für die ‚Kindergeschichten’ mit alten Menschen arbeiten und mit Menschen mit offensichtlichen geistigen Behinderungen.

Hanspeter Horner: ‚Ich bin Schweizer, lebe in Wien, bin verheiratet in Thailand und arbeite des öfteren auch in Australien. Und auch wenn ich schon um die ganze Welt geflogen bin, fällt es mir schwer zu glauben, dass sie rund sei.
Die Kindergeschichten habe ich als Jugendlicher gelesen, ebenso die Streitschrift „ Des Schweizers Schweiz“. Peter Bichsel ist ein Bestandteil meiner eigenen Identität. Durch Schriftsteller wie ihn konnte ich die Steifheit der Schweizergesellschaft einfacher ertragen.’

Die Umsetzung erfolgt multimedial wie alle Projekte von walktanztheater.com.
Wir vermischen moderne Projektionstechnik mit der traditionellen Kunst des südostasiatischen Schattentheaters. Eine Erzählerin erzählt den Faden der Geschichte, mehrere Geschichten. Ein gemischter Chor von Kindern und Erwachsenen wird ein Auftragswerk eines Vorarlberger Komponisten singen. Der Bogen reicht von Volkslied und Ballade bis zu Oper und Rockmusik. Tänzer und Schattenspiel gehen ineinander über als Vexierbilder von Traum und Wirklichkeit, als Sehnsucht nach lebendigen neuen Wirklichkeiten.

Neben den Professionisten wie Schauspielerin und Musiker und Tänzerinnen und Tänzer werden wieder Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Zusammenhängen in das Projekt eingebunden werden. Bis dato waren in unseren Theaterprojekten blinde Menschen beteiligt, minderjährige Flüchtlinge, Kinder, Amateurschauspieler, langzeitarbeitslose Jugendliche.

In den ‚Kindergeschichten’ werden zwei erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung mitspielen, eingesetzt als Spielende unter anderen Spielenden. Zentral sind ihre Fähigkeiten, nicht ihr Nicht-Können und sie werden sowohl spielerische als auch tänzerische Aufgaben haben.

REALISIERUNG
Regie: Hanspeter Horner/A
Ausstattung und Bühne: Ursula N.Müller/D
Technik und Visuals: Martin Beck, ton und bild/A
Bildanimation: Marc Altmann/D
Chorleitung: Martin Lindenthal/A
Chorkomposition: Martin Lindenthal/A
Choreographie: Jacqueline Beck/FL
Schauspielerin: Brigitte Walk/A
Tänzer: Nunzio Impellizzeri CH/I
Saxophon: Marcus Gsell/FL
Schattenspiel: Monthatip Suksopha/Thailand
Chor: Landeskonservatorium
Regieassistenz: Dorrit Kogler
Inspizienz: Christa Fitz-Binder
Hospitanz: Jan Gronczewski
Design: Sigi Ramoser, sägenvier

Zusammengearbeitet wird wieder mit dem Theater am Saumarkt, mit Tanz in Liechtenstein, dem Landeskonservatorium und der Werbe- und Tourismusgesellschaft Feldkirch. Partner ist auch die Lebenshilfe Vorarlberg.